Freitag, 26. März 1999

Tastkünstler begleitete inbrünstig
gesungene Werke der Gregorianik
Von Jürgen Dehl

Kriftel.    Es war das erste Konzert der Schola von St. Vitus (bis dato waren die fünf Herren nur im Gottesdienst zu hören) und äußerst interessant ist es obendrein gewesen. Die Gegenüberstellung macht's. Wie heutig Orgelmusik von Robert Schumann doch klingen kann. Noch etwas anderes wurde in diesem Konzert in spannender Weise hörbar: Wenn nämlich ein Musikwissenschaftler auf alle wissenschaftliche Nachweisbarkeit pfeift und der eigenen Fantasie folgt. Gerd Zacher, Professor in Essen, ordnete 1974 die Fugen Schumanns (geschrieben über das Thema "B-A-C-H") den Gregorianischen Gesängen der unveränderlichen Teilen der Messe (Ordinarium) zu. Wie der Musikchef von St. Vitus, Andreas Winckler, im Programm mit Recht anmerkt: »Das Ergebnis ist erstaunlich: Die inhaltlichen und formalen Übereinstimmungen der sechs Fugen mit dem Ordinarium treten deutlich zu Tage.«
   Der Überlieferung nach, wird Gregorianik dem Papst Gregor I. den Großen (540-604) zugeordnet. Er soll, sagt die Legende, diese liturgischen Gesänge gesammelt haben. Ob es 

voll und ganz den Tatsachen entspricht bleibt sicher unklar für alle Zeiten, doch hat Gregor I. offenbar wesentliche Beiträge zur liturgischen Musik geliefert. Diese frühen, ja archaischen Gesänge verlassen den mittleren Tonraum einer Männerstimme kaum. Sie sind einstimmig. Sind damit eigentlich ein Widerspruch zu Schumanns polyphonen Tongebilden, die in ihrer oft kühnen Harmonik das gängige System der Harmonielehre fast bersten lassen.
   Die Ausführung war vorzüglich. Die fünf Herren der Schola - Andreas Winckler sang mit - haben ihre Stimmen gut im Griff. Trübungen waren fast nicht zu verzeichnen. Was den Gesängen zustatten kam: Es wurde mit einer gewissen Inbrunst gesungen.
   Andreas Winckler erwies sich als wahrer Tastenkünstler. Die düsteren, meist auch düster von Winck1er registrierten, Orgelwerke Schumanns haben ihre eigene Virtuosität. Sie macht sich nicht in funkelnden Passagen bemerkbar, eher darf man vermuten - nach dem Klang geurteilt - dass sie mächtige Griffkünste fordern. Eigenwillig der Schluss: Durch die herben Kontraste der Programmgestaltung entstand eine höhere Einheit.

Die fünf Herren der Schola von der Pfarrgemeinde St. Vitus luden zu ihrem ersten Konzert.
Zuvor sangen sie nur im Gottesdienst.