Printausgabe vom 16.9.2008
Von Lutz Riehl
Kriftel.
«Alles, was ich bisher geschrieben habe, können Sie einstampfen; mit
Carmina burana beginnen meine gesammelten Werke», schrieb Carl Orff
bereits unmittelbar nach der Uraufführung seines berühmten Werkes an
seinen Verleger. Ohne Zweifel war sich der aus München stammende
Komponist, der seinen Beruf bis dahin gelegentlich scherzhaft als
«Notenschreiber» oder – seinem bayrischen Naturell entsprechend – als
«Düpflscheißer» bezeichnete, sehr schnell bewusst, dass ihm mit diesem
Stück der große Durchbruch gelungen war. Trotz des immensen personellen
Aufwandes – zur Aufführung werden neben einem großen Chor, einem
Kinderchor und drei Gesangssolisten auch ein breit gefächertes
Orchester inklusive Klavier und umfangreichem Schlagwerk benötigt –
erfreut sich die «Carmina Burana» bei Musikern wie auch beim Publikum
ungebrochener Beliebtheit.
Angesichts der ambitionierten Projekte, die der Chor des
Caecilienvereins unter der Leitung von Andreas Winckler bereits
realisiert hatte, konnte es daher nicht wirklich verwundern, dass man
sich am Samstag in der voll besetzten St. Vitus-Kirche auch dem
Orff'schen Opus magnum stellen wollte. Hierfür hatte sich der
Caecilienverein mit dem Jungen Chor des Bezirks Wetzlar und deren
Leiter Horst Christill eine ideale Verstärkung eingeladen. Hinzu kamen
außerdem die Kinderchöre aus St. Vitus und Wetzlar. Mit der
Unterstützung durch das Orchester der Kammerphilharmonie Rhein-Main
hatten die drei Chöre das Werk bereits am Vortag unter dem Dirigat
Horst Christills im Wetzlarer Dom aufgeführt.
Die starke Ausdruckskraft der 25 teils lateinischen, teils
mittelhochdeutschen Lieder aus dem Codex Buranus, einer
mittelalterlichen Schriftsammlung aus dem Kloster Benediktbeuren, wirkt
durch die rhythmisch forcierte und klanglich breit gefächerte Musik um
ein Vielfaches intensiver, da Carl Orff, wie kaum ein anderer
Komponist, großen Wert auf die enge Beziehung von Musik und Sprache
legte. Diesem Ideal fühlten sich auch die Chöre aus Kriftel und Wetzlar
verpflichtet, so wurden die lateinischen Texte in deutscher Aussprache
gesungen, was die prägnante rhythmische Struktur der Musik noch besser
hervorhob. Überzeugend auch der volle und sichere Chorklang, der sich
gegen die Kammerphilharmonie Rhein Main, die ebenfalls in jeder
Hinsicht zu überzeugen wusste und den Orchesterapparat in eine wahre
Perkussionsmaschine verwandelte, gut behaupten konnte.
Wenngleich die inhaltliche Zusammenstellung aus sinnlichen Liedern über
den Frühling, das Zechen und die Liebe, eingerahmt von der berühmten
martialischen Anrufung «O Fortuna», die die römische Schicksalsgöttin
besingt und von den über 160 Beteiligten in beeindruckender Weise
dargeboten wurde, wohl eher für den Konzertsaal als für den Kirchenraum
vorgesehen waren, verfehlten sie auch in St. Vitus ihre Wirkung nicht.
Das furiose «Ecce gratum», ein Frühlingsgesang für Chor und Orchester,
begeisterte dabei ebenso das Publikum wie «Tempus est iocundum», bei
dem der Kinderchor zur treibenden Kraft wurde und das Publikum
regelrecht mitriss. Kein Wunder, dass die Komponistentochter Godela Orff
diesen Abschnitt als «kessen Schlager» bezeichnete.
Die drei Gesangssolisten Christine Bechtel (Sopran), Joaquino Asiain
(Tenor) und Dietrich Volle (Bass) vervollständigten die gute Leistung.
So war Bechtels lyrischer Vortrag des Stückes «In trutina!» – eine
Passage, die fast schon an einen Song Andrew Lloyd-Webbers erinnert –
ebenso stimmig, wie Asiains Vorstellung vom «gebratenen Schwan». Am
meisten wurde Dietrich Volle abverlangt, der jedoch gut mit der äußerst
anspruchsvollen Bariton-Partie zurechtkam.
Am Ende gab es in der Krifteler Kirche rauschenden Beifall für die
Musiker sowie den Projektinitiator und Dirigenten Andreas Winckler.
Neben Vitus und Caecilia scheint nun offenbar außerdem Fortuna der
Musik in St. Vitus gewogen zu sein.
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