Gründonnerstag, 5. April 2007

KREUZIGE !

Die Johannes-Passion von J. S. Bach in St. Vitus

Es soll ja Menschen geben, den Verfasser dieser Zeilen eingeschlossen, denen Johann Sebastian Bach nicht als Maß aller musikalischen Dinge gilt. Er ist ihnen häufig zu akademisch, zu gelehrt, zu wenig sinnlich, ein Attribut, das man seinem Widerpart aus Halle, Georg Friedrich Händel, umso bereitwilliger zugesteht. Bei der Johannes - Passion des Thomaskantors kommt hinzu, dass das qualitative Gefälle zwischen der Sprache des Evangelisten und den Versen, die der Ratsherr Brockes dem Komponisten eingebrockt hat, erheblich ist.
Und doch fesselt uns diese Passion, wie zuvor schon Musiker wie Robert Schumann und Albert Schweitzer, weil es Bach gelingt, nicht nur dieses sprachliche Wirrwarr musikalisch zu adeln, sondern eben auch, weil er - Gott sei Dank ! - die akademischen Pfade oft genug zugunsten seiner individuellen Emotion verlässt !
Dies tut er ganz besonders bei den Chören, die immens gefordert sind, sowohl, was die Vielzahl der Einsätze, als auch, was die enorme Bandbreite des Ausdrucks betrifft, vom strengen, kontemplativen Choral bis zum aufgewühlten, aufwühlendem " Kreuzige ! ".

Wer sich im Vorfeld die bange Frage nach möglicher Überforderung der Damen und Herren von Vitus & Caecilia gestellt haben mag, wurde - wieder einmal - eines Besseren belehrt. Kleinere Defizite in Intonation und rhythmischer Präzision wurden durch ein unglaubliches Engagement sowie durch physische und psychische Kondition mehr als wett gemacht !
Was dieser Chor begeisterungsfähiger, begeisterter, begeisternder Amateure jährlich von Neuem auf die Beine stellt, grenzt ans Wunderbare.
Der im Umgang mit den Sängerinnen und Sängern so überaus geschickte und kompetente Urheber dieses Zaubers ist seit Jahren " Maestro " Andreas Winckler, der immer wieder alle Beteiligten mitzureißen weiß, auch das Orchester, in dem sich zudem Holzbläser und Streicher mit delikaten Soli profilierten. Besonders hervorzuheben ist auch die Continuo - Gruppe, welche dem viel beschäftigten Evangelisten perfekt assistierte.

Fred Hoffmann ( Tenor ) bewältigte seinen überaus anspruchsvollen Part stimmschön und engagiert. Ihre leider nur zwei Arien sang Christine Bechtel ( Sopran ) quasi seraphisch, mit gewohnter Brillanz in den Koloraturen. Die bewährte Altistin Alexandra Gießler gab ihren Beiträgen schönes, individuelles Profil.
Leider wusste der Sänger des Jesus, Robert Hahn, diesmal nicht , wie gewohnt, zu überzeugen. Sowohl stimmlich als auch in der Körpersprache blieb er dem " souveränen Herrscher " ( Brigitta G. Hermann ) so manche Fassette schuldig.
Elmar André hingegen, Neuling im Solistenensemble, beeindruckte als dominanter Pilatus und Interpret der so schwierigen Bassarien mit schöner Stimme und großer Musikalität.
Kann es eine bessere Einstimmung auf die Karwoche geben als ein Konzert dieser Güte ?

Dietmar Vollmert