Printausgabe vom 19.07.2006
Wenn die Kirche zur Alm wird

Von Lutz Riehl
Kriftel. Dass die Kirchenmusikreihe „Vitus & Cäcilia“, die in diesem Jahr ihr 10-jähriges Jubiläum feiert, es immer wieder versteht, ihr Publikum zu überraschen, wurde beim Nachtkonzert, das am Samstag in St. Vitus stattfand, aufs Neue bestätigt. Eine erste große Überraschung bildete bereits die musikalische Besetzung dieses Abends; neben der vertrauten Orgel spielte nämlich das Alphorn die erste Geige. Für Andreas Winckler, Kirchenmusiker von St. Vitus, war es vor allem wichtig, dieses eher volkstümliche Instrument in einem neuen Kontext kennen zu lernen: „Die erste Idee dazu kam mir in der Tat bei einem Urlaub. Ich dachte mir: Kann man dieses Instrument nicht auch einmal von den Bergen herunterholen? Und wie das nun einmal mit Ideen so ist, die Realisierung dauert eine ganze Weile.“ Insgesamt vergingen zwei Jahre, bis der Berg zum Propheten, bzw. die Gebirgsmusik in die Krifteler Kirche kommen sollte. Für dieses Projekt konnte Winckler Jörg Stegmaier, Soloposaunist beim Philharmonischen Orchester Ulm, gewinnen, der sich seit über 15 Jahren auch mit dem Alphorn beschäftigt hat.
Trotz des ersten Wochenendes der Sommerferien und der fortgeschrittenen Stunde hatten sich im-merhin gut 90 Zuhörer eingefunden, auf die ein außergewöhnliches Programm wartete. Zu Beginn des einstündigen Konzertes kam Stegmaier aber zunächst an der Posaune zum Zug. Zusammen mit Andreas Winckler an der Orgel eröffnete er den Abend mit einer Sonata in B-Dur für Posaune und Basso continuo von Antonio Vivaldi (1678-1741). Auf diese feierliche Einstimmung ließ Andreas Winckler eine schlichte, aber dennoch schön dargebotene Toccata für Orgel von Johann Pachelbel (1653-1706) folgen.
Das erste große Highlight bildete zweifellos der Auftritt des Alphorns; hierfür tauschte Stegmaier seinen Platz auf der Empore mit dem Altarraum, so dass das Alphorn auch optisch im Mittelpunkt des Geschehens stand. Zunächst erklang ein festliches Voluntary von Jeremiah Clark (1674-1707), bei dem der volle Klang des Alpeninstrumentes gut zur Geltung kam und auch die Kombinationsfähigkeit mit der Orgel eindrucksvoll dargestellt wurde.
Mit der hörenswerten Darbietung der drei traditionellen Schweizer Lieder wurde die Kirche dann endgültig zur Alm; hier erklangen sowohl jene typischen schlichten melodischen Wendungen der alpenländischen Musik, als auch virtuosere Passagen. Mit Echo-Effekten von Alphorn und Orgel wurde die Stimmung eines Gebirgsurlaubs regelrecht heraufbeschworen.
Mit dem festlichen Allegro Pomposo für Orgel von Thomas Adams (1853-1918) spannte Andreas Winckler den musikalischen Bogen ins 20. Jahrhundert. Beim Morceau Symphonique von Alexandre Guilmant (1837-1911) griff Stegmaier erneut zur Posaune und bot zusammen mit Winckler eine intensive Interpretation dieses anspruchsvollen Werkes. Einen Ausflug in die französisch geprägte Orgelromantik unternahm Winckler mit dem Andante mit Variationen von Nocolas Jaqeues Lemmens (1823-1881). Mit Dennis Armitages (*1928) Ballade für Alphorn und Orgel dominierten erneut die traditionellen Alpenklänge, wobei das leichte, lockere Zusammenspiel beider Instrumente, dem Stück auch etwas Humorvolles verlieh. Stegmaier bewies daraufhin eindrucksvoll, dass man auf dem Alphorn auch Spirituals spielen kann; bei den Klängen, die der Solist dem 3,64 Meter langen Instrument entlockte, kam das Publikum aus dem Staunen nicht heraus.
Der letzte Programmblock gehörte wieder der Posaune; nach dem wunderbar swingenden „On the Mountain“ von Johannes Mathias Michel (*1963) zelebrierten die beiden Musiker zum Abschluss noch Gospels, bei denen Stegmaier die Posaune singen ließ, was von Wincklers swingendem Spiel toll unterstützt wurde. Mit dem gefühlvollen „Amazing Grace“ bedankten sich die beiden Solisten für den großen Beifall.