Montag, 25. Juli 2005

Die Orgel-Nacht unter freiem Himmel
  von Susanne Hecker

Kriftel.  Zu Beginn des Orgel-Nachtkonzertes an der Bonifatius-Kapelle ergriff Pfarrer Andreas Unfried das Wort. Er eröffnete am Samstagabend diese ungewöhnliche Veranstaltung mit einem amüsanten Dialog der beiden namengebenden Heiligen der Kirchenmusikreihe, Vitus und Caecilia, mit dem lieben Gott. Ob denn die Orgel von Vitus und Caecilia nicht auch Ferien vom Kirchenmusik-Alltag machen dürfe, um einmal so richtig in Sommerlaune aufzuspielen. Als kulturbeflissener Vater, so Unfried, gab der liebe Gott natürlich seinen Segen zu diesem «Urlaubsantrag» und schenkte auch noch gutes Wetter dazu. Nach der passenden Einleitung griff Andreas Winckler, Kirchenmusiker von St. Vitus, in die Tasten der weltweit einzigen Open-Air-Orgel.

Dieses Instrument wurde, wie auch die Orgel der St. Vitus Kirche selbst, von den beiden Orgelbau-Brüdern Günter und Horst Hoffmann aus Ostheim/Rhön vor sieben Jahren gebaut. Grund dafür war, wie Günter Hoffman erklärte, ein Konzert mit unerwartet vielen Zuhörern gewesen. Die Veranstalter hatten mit einem kleineren Publikum gerechnet und den Orgelpart nur mit einem Orgel-Positiv besetzt. Dieses sehr viel kleinere Instrument sei natürlich nicht in der Lage gewesen, die damals anwesenden 800 Zuhörer zu erreichen, erklärt Günter Hoffmann. Daher die Idee für eine vollständige und klangstarke Orgel mit fast 2000 Pfeifen und 29 klingenden Registern in transportabler Form. Mit einem Lastwagen, auf dem die Orgel fest installiert ist, touren die Brüder Hoffmann an ihren Wochenenden durch die Lande. Quer durch die alten und neuen Bundesländer oder, wie nächstes Wochenende, in die Schweiz.

Die einzige andere große Open-Air Orgel gab es in den 40er Jahren in England. Sie ist aber in den Kriegswirren verschollen. Günter Hoffman hat noch bis zur letzten Minute «sein Baby» verarztet und sich um die saubere Stimmung der Zungen gekümmert, die sehr empfindlich auf Temperaturschwankungen reagieren. Er ist mit Werkzeug hin- und hergeflitzt. In die Orgel reingeklettert und wieder raus, wie eine emsige Biene.

Dem Organisten Andreas Winckler gelang es dann im Lauf des Konzertes die Bandbreite des Instrumentes zu präsentieren. Aber selbst der schöne Vorplatz der Bonifatius-Kapelle mit seinen hohen Bäumen konnte nicht über die gänzlich fehlende Akustik hinwegtäuschen. So waren die ersten Stücke sehr gewöhnungsbedürftig und so mancher Zuhörer schien verwirrt von fast jahrmarktähnlichen Klängen einerseits und der Ernsthaftigkeit der Komposition andererseits. Spätestens aber ab der Sortie, dem für den Auszug aus der Kirche geschriebenen Stück des Komponisten Louis-James-Alfred Lefébure-Wély, geriet Andreas Winckler in die versprochene Sommerspiellaune. Die trockene Akustik, sonst gefürchtet, weil sie gnadenlos jede Schwäche des Spielers offenbart, erlaubte hier einen guten Einblick in Wincklers souveräne Beherrschung des Instruments. Spätestens die Variationen über «Der Mond ist aufgegangen» von Lothar Graap brachen das Eis, und Zuhörer wie Künstler genossen das besondere Ambiente und die gelöste Stimmung der Veranstaltung. Als nach dem letzten Stück und einem weiteren amüsanten Urlaubsgedicht, vorgetragen von Pfarrer Unfried, Andreas Winckler sich nochmals für eine Zugabe an den wiesengrünen Spieltisch setzte, ging ein wohlwollendes Raunen durch die Reihen der fast 170 Zuhörer. Kein Geringerer als der «rosarote Panther» strich musikalisch durch die flackernden Schatten des Kerzenlichts. Von solch launigen Stücken hätte man sich etwas mehr gewünscht an diesem Abend. Seinen persönlichen Auftrag hat Andreas Winckler jedoch erfüllt. Nämlich einmal zu zeigen, dass eine Orgel auch anderes kann als Bach und die übrigen «Klassiker».