Dienstag, 4. November 2003

Requiem bietet Tröstliches
Von Jürgen Dehl

Kriftel.  Es ist ein mächtiges Sterben und Abschiednehmen in dieser Musik. Auch der Psalm "Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth", jenseitig interpretiert, trägt kaum Licht in die bohrenden, düsteren Klänge. In St. Vitus führten Chor und Orchester des Caecilienvereins unter Leitung von Andreas Winckler "Ein deutsches Requiem" von Johannes Brahms auf und den Rezensenten plagte Skepsis. Bisher bewegten sich Musiker und Vokalisten in völlig anderen Klangwelten und nicht in dieser Brahms'schen Düsternis. Doch freudig sei gesagt, dass des Schreibers Bedenken sich rasch in Nichts auflösten.

Andreas Winckler hatte seine Vokalisten bestens präpariert und etwas Schwieriges obendrein geschafft: Die Choristinnen und Choristen waren meistens recht gut zu verstehen. Nicht nur das. Auch die die vielen Ausbrüche, Crescendi und Decrescendi wurden ohne gewalttätiges stimmliches Forcieren bewältigt. Auch hat der Caecilienverein beim schweren Pianosingen viel an Format gewonnen.

Farbig klang das Orchester und die Balance zwischen menschlicher Stimme und Instrumenten war meist ausgewogen. Bei der Akustik in St. Vitus ein schweres, aber wirklich schönes Stück Arbeit. Trefflich fügten sich die Solisten ein, die – recht besehen – nur kleinere Aufgaben haben. Aber sie müssen auf den Punkt genau da sein. Den ausgedehnteren Bariton-Part gestaltete Dietrich Volle, dessen Stimme mit ihrem Wohlklang für sich einnimmt. Aber auch die sehr

eindringliche Gestaltung seiner Partie muss hervorgehoben werden. Christine Bechtel (Sopran) ließ in "Ein deutsches Requiem" hören, dass sie – die sonst hier mit Koloraturen besticht – auch mit dem breiteren und weiteren Klang der Romantik trefflich vertraut ist.

Johannes Brahms komponierte "Ein deutsches Requiem" in Etappen. Erstaunlich wenig davon ist dem Werk anzumerken. Immer wieder gelang es ihm, stilistisch an Vorhandenes anzuknüpfen. Brahms begann mit der Komposition nach dem Tod von Robert Schumann (1856). Erst fünf Jahre später waren die beiden ersten Sätze des Werkes fertig. 1865 nahm Brahms die Arbeit erneut auf. Anlass war der Tod seiner Mutter. 1867 konnten drei Sätze aufgeführt werden. Anregungen von Außen ließen das Werk allmählich auf sieben Sätze wachsen. Ein Werk, das auch von der beträchtlichen Bibelkenntnis des Komponisten Zeugnis ablegt; denn Brahms hatte sich den Text nach der Hebräischen Bibel und dem Neuen Testament selbst zusammengestellt.

Bevor die Musik erklang, sprach Pfarrer Andreas Unfried über seine Gedanken zum Werk. Die Komposition, die sich nicht auf den liturgischen Text bezieht, sei kein "Requiem" für die Toten sondern ein Requiem und Tröstung für die Überlebenden.

Dass davon nichts verloren ging und eine wirklich nachdrückliche Wiedergabe gelang, lohnte das Publikum in der vollbesetzten Kirche mit viel Applaus. Dieser Satz zeigt zwei Dinge: Die Aufbauarbeit von Andreas Winckler wirkt sich nicht nur auf die Musikleistungen aus, sie lockt auch Leute an.