Dienstag, 15. Juli 2003

Wörter lenkten von Worten ab
Von Jürgen Dehl

Kriftel.  Eine der größten lyrischen Dichtungen unseres Kulturkreises stand auf dem "Nachtprogramm" in St. Vitus. Das "Lied der Lieder" (im Original Shir ha-Shirim) auch das "Hohelied" genannt und König Salomo zugesprochen, wurde zu schön ausgewählten Musiken gelesen. Dezent illustrierten kleine Effekte die Musik und die beschwörenden Worte dieser Liebeslyrik. Beispielsweise war rechts vom Altar ein weißes Tuch gespannt, das mit weißem und roten Licht angestrahlt wurde. Weiße Lilien – sie werden in der Dichtung symbolträchtig erwähnt – standen in den Lichtstrahlen und sahen einfach prachtvoll aus. Im "Hohelied" spricht der Bräutigam: "Wie die Lilie unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern."

Die Besucher hatten aber bedauerlich wenig Raum, um Musik, Dichtung und Effekte zu genießen. Dr. Thomas Hammer "moderierte" den Abend und sorgte für viel zu viele Wörter. Eine kurze Erläuterungen wäre ausreichend gewesen. Doch der Moderator ergriff immer wieder das Wort und paraphrasierte die Dichtung. Es scheint, als spräche daraus Misstrauen am Kunstwerk und Misstrauen in die Verständnisbereitschaft der Besucher. Beides ist nicht gut. Die vielen Wörter lenkten nur von den Worten und von der Musik ab.


Die Texte aus der Bibel lasen Annett Warnke, Jürgen Pfaffenberger, Gabriele Winckler und Johannes Mantel. Der musikalische Teil wurde von Sven Müller-Laupert (Flöte) und Andreas Winckler (Orgel) gestaltet. Ausgewählt hatten sie Sätze von Georg Friedrich Händel, Theodore Dubois, Jules Massenet, Josef Rheinberger und anderen. Beschließend gab es eine Sonate in F-Dur von Georg Philipp Telemann. Beide Musiker, hier bestens bekannt, bestachen im Nachtkonzert mit ihrer sehr schönen, spielerischen Interpretationsweise.

Ein erlauschter Gesprächsfetzen am Ende der Veranstaltung sei wiedergegeben. Eine Besucherin sprach zu ihrer Freundin über die verzauberten Liebesworte des "Hohenliedes" und fügte an: "Würd" mein Mann so etwas zu mir sagen, würd" ich ihn fragen ob er noch ganz klar ist."

Ein Hinweis: Das Konzert "Ein deutsches Requiem" (Brahms) muss vom 12. Oktober auf den 2. November, 17 Uhr, verlegt werden.