Dienstag, 20. August 2002

Eine wundervolle Gregorianik-Nacht
   Von Jürgen Dehl

Kriftel.      Das war kein Konzert und auch nicht das, was für gewöhnlich unter Gottesdienst verstanden wird. Nennen wir es Menschendienst. Denn in der Pfarrkirche St. Vitus wurde mit einigen gekonnt eingesetzten Mitteln versucht, übers gängige Wahrnehmen in das Innerste der Besucher zu dringen, um dort einen Geschmack von Ruhe und Frieden zu geben. Dabei wurden gekonnt theatralische Mittel eingesetzt. Der musikalische Hausherr Andreas Winckler nannte die Veranstaltung «Gregorianik - Nachtkonzert» und gab ihr den Untertitel «Mystik des Mittelalters in Texten und Chorälen mit Schola, Saxofon und Orgel». Pfarrer Andreas Unfried las Texte von Bernhard von Clairvaux, Johannes vom Kreuz und anderen. Das mit einem erfreulich unpastoralen Ton, was den Wörtern einen sehr heutigen Anstrich gab. Die bestechende Musikauswahl unterstrich die Wörter und auch jene Elemente, in denen Theater und Liturgisches zusammentrafen.

So verlöschte, es war etwa im zweiten Drittel der Veranstaltung, die Beleuchtung im Kirchenschiff. Der Altarraum wurde rot angestrahlt und Trockeneisnebel legte sich, gleich einem mystischen Schleier, zwischen Besucher und Apsis. Stille herrschte für einige Minuten. Dann, mit gemächlichem Schritt, kamen aus dem Hintergrund der Priester und Messdiener. Mit Weihrauch wurde geräuchert. Unfried sprach vom getrockneten Harz, das Wundverschluss eines verwundeten Baumes ist.

Nun aber erquicke sein Wohlgeruch. So könnte auch der Mensch aus den Narben früher Verwundungen neuen Sinn gewinnen. Die Frauenschola intonierte den Gregorianischen Choral «Sacerdotes Domini incensum. . . (Die Priester des Herrn bringen Weihrauch und Brot Gott dar. . .).» Die Lichtfarben im Altarraum wandeln sich in ein gelbes Orange. Im Deckenbereich bleibt das tiefe Rot. Allmählich verziehen sich auch die Nebelschwaden. Unfried spricht in die Stille, dass dieses Leben nicht gottverlassen sei. Die Menschen des Mittelalters seien ihm vielleicht näher gewesen als wir in unseren unruhvollen Zeiten. Nach den Worten erklingt «Litanies für Orgel von Jehan Alain. Mit Fanfarenklängen beginnt das Stück. Eine Art Toccata folgt, swingend, jazzig, und alles mündet in wilde Akkordschläge. Dann singt die Männerschola: «Factus est repente. . . (Es erhob sich plötzlich vom Himmel her das Brausen eines nahenden gewaltigen Sturmes. . .).»

Geistlicher Gehalt vermittelt sich über Kunst und je besser Interpreten sind, desto mehr bleibt von diesem Gehalt. Deshalb muss hier ein Bravo für die Musiker folgen. Allen voran Andreas Winckler - Gründer der Schola, deren Leiter und Organist - und der Organist Helmut Vogt. Ein musikalischer Höhepunkt dürfte «Communio» im Arrangement von Thomas Gabriel - für Saxofon, Orgel und Chor - gewesen sein.

Es gibt großen Bedarf für solche Veranstaltungen. St. Vitus war bei diesem Nachtkonzert außergewöhnlich gut besucht!

.. der Altarraum wurde rot angestrahlt und Trockeneisnebel legte sich, gleich einem mystischen Schleier, zwischen Besucher und Apsis ..