Mittwoch, 4. April 2001

Beim Stabat Mater ergänzen
sich Gegensätze spannungsreich
Von Jürgen Dehl

Kriftel. Vielleicht benötigt der Durchschnittsbürger Mythen und Legenden um das Schaffen von Ausnahmemenschen zu verstehen. Vor allem jene, die das unstofflichste Feld aller Felder beackern, die Musik, werden von Märchenhaftem umrankt. Stirbt einer mit 36 Jahren und hinterlässt eine solche Zahl von Schöpfungen, dass man eher Greisenalter vermutet, dann fordert das die Fantasie in unterschiedlichster Weise heraus. Die Rede ist Giovanni Battista Pergolesi (1710 – 1736) und von seinem „Stabat Mater“, das unter der Leitung von Andreas Winckler in St. Vitus aufgeführt wurde. Es geht das Gerücht um, der schwer kranke Pergolesi habe das Werk auf seinem Sterbebett geschrieben und unter den letzten Takten sein Leben ausgehaucht. Wie das mit Legenden ist, die Wissenschaft widerspricht dem heftig. Doch Laien vermögen sich offenbar diese irdischen und darin wieder sehr überirdischen Klänge anders nicht zu erklären.
    Fakt ist, dass eine neapolitanische Bruderschaft das Werk in Auftrag gab. Vermutlich gaben die Brüder auch die Anweisung, das Werk soll nur zwei Solostimmen haben, unterstützt von Streichern und Generalbass. Die Bruderschaft führte es regelmäßig auf und bald schon verbreitete sich das „Stabat Mater“ über den ursprünglichen engen Rahmen hinaus.
    Die verhältnismäßig schlichte Besetzung ist trügerisch.
    Was so leicht und licht daherklingt, verlangt in Wirklichkeit harte, strapaziöse Arbeit. Besonders gefordert sind die beiden Sängerinnen, denn Pergolesi schrieb in einer Lage, die eigentlich kurz vorm Register „heiße Luft“ liegt. Anders gesagt, Alt und Sopran müssen sich permanent in barbarischen Tiefen bewegen. Die beiden Sängerinnen in Kriftel, Edda Best (Sopran) und Alexandra Gießler (Alt) bewältigten die Sache mit großem Anstand und das ist mächtig viel. Das Streicher-Ensemble des

 Orchesters des Caecilienvereins lieferte den nötigen Geigenschmelz. Für eine Portion Extra-Reiz sorgten die unterschiedlichen Stimmeigenschaften der Sängerinnen. Edda Bests Stimme ist eher dem Lyrischen zugeneigt, während Alexandra Gießler etwas dramatisch-opernhaftes in der Stimme hat. Die Gegensätze ergänzten sich verschiedentlich sehr spannungsreich.
    Vielleicht machte einigen Hörern in der sehr gut besuchten Pfarrkirche die Musik etwas Mühe, eine Mühe die aus deutscher Tradition stammt. „Zu opernhaft“ lautet das Verdikt nördlich der Alpen und manchmal wird auch gesagt „zu schön“. Welcher Unfug. Natürlich nimmt ein gläubiger Komponist für ein Werk des Glaubens seine schönsten Töne und die stammen bei Giovanni Battista Pergolesi nun einmal aus der wohltönenden neapolitanischen Oper, die der Komponist stilbildend mitgestaltete.
   Schon die kurze Introduktion zum „Stabat Mater“ weist auf seine Abkunft, sie könnte auch vor einem „dramma per musica“ stehen. Die schmelzenden Koloraturen in „Fac ut portem Christi mortem“ sind sicherlich auch theologisch deutbar.
   Wie nahe die Tonsprache der Kirche und der Oper in Italien einst gewesen sind, wurde an diesem Abend in einem anderen, älteren Werk vielleicht noch deutlicher. Claudio Monteverdi (1567 – 1643), einer der Überväter unserer Musikgeschichte, ist einer der ersten Schöpfer der Oper und bis heute einer der größten. Sein „Pianto della Madonna“ war ursprünglich die Klage der „Arianna“ in der gleichnamigen Oper. Die Oper ging verloren. Doch die Klage daraus, die schon auf ihre ersten Hörer gewaltigen Eindruck machte, überlebte in verschiedenen Metamorphosen. 1640 publizierte Monteverdi seine Sammlung „Selva morale“ und die Klage war darin in ihrer endgültigen Gestalt als „Pianto della Madonna“.