Von Jürgen Dehl
Kriftel.
Vielleicht
benötigt der Durchschnittsbürger Mythen und Legenden um das Schaffen von
Ausnahmemenschen zu verstehen. Vor allem jene, die das unstofflichste Feld
aller Felder beackern, die Musik, werden von Märchenhaftem umrankt.
Stirbt einer mit 36 Jahren und hinterlässt eine solche Zahl von Schöpfungen,
dass man eher Greisenalter vermutet, dann fordert das die Fantasie in
unterschiedlichster Weise heraus. Die Rede ist Giovanni Battista Pergolesi
(1710 – 1736) und von seinem „Stabat Mater“, das unter der Leitung
von Andreas Winckler in St. Vitus aufgeführt wurde. Es geht das Gerücht
um, der schwer kranke Pergolesi habe das Werk auf seinem Sterbebett
geschrieben und unter den letzten Takten sein Leben ausgehaucht. Wie das
mit Legenden ist, die Wissenschaft widerspricht dem heftig. Doch Laien
vermögen sich offenbar diese irdischen und darin wieder sehr überirdischen
Klänge anders nicht zu erklären.
Fakt ist, dass eine
neapolitanische Bruderschaft das Werk in Auftrag gab. Vermutlich gaben die
Brüder auch die Anweisung, das Werk soll nur zwei Solostimmen haben,
unterstützt von Streichern und Generalbass. Die Bruderschaft führte es
regelmäßig auf und bald schon verbreitete sich das „Stabat Mater“ über
den ursprünglichen engen Rahmen hinaus.
Die verhältnismäßig schlichte Besetzung ist trügerisch.
Was so leicht und licht
daherklingt, verlangt in Wirklichkeit harte, strapaziöse Arbeit.
Besonders gefordert sind die beiden Sängerinnen, denn Pergolesi schrieb
in einer Lage, die eigentlich kurz vorm Register „heiße Luft“ liegt.
Anders gesagt, Alt und Sopran müssen sich permanent in barbarischen
Tiefen bewegen. Die beiden Sängerinnen in Kriftel, Edda Best (Sopran) und
Alexandra Gießler (Alt) bewältigten die Sache mit großem Anstand und das
ist mächtig viel. Das Streicher-Ensemble des
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Orchesters des Caecilienvereins lieferte den nötigen
Geigenschmelz. Für eine Portion Extra-Reiz sorgten die unterschiedlichen
Stimmeigenschaften der Sängerinnen. Edda Bests Stimme ist eher dem
Lyrischen zugeneigt, während Alexandra Gießler etwas
dramatisch-opernhaftes in der Stimme hat. Die Gegensätze ergänzten sich
verschiedentlich sehr spannungsreich.
Vielleicht machte
einigen Hörern in der sehr gut besuchten Pfarrkirche die Musik etwas Mühe,
eine Mühe die aus deutscher Tradition stammt. „Zu opernhaft“ lautet
das Verdikt nördlich der Alpen und manchmal wird auch gesagt „zu schön“.
Welcher Unfug. Natürlich nimmt ein gläubiger Komponist für ein Werk des
Glaubens seine schönsten Töne und die stammen bei Giovanni Battista
Pergolesi nun einmal aus der wohltönenden neapolitanischen Oper, die der
Komponist stilbildend mitgestaltete.
Schon die kurze
Introduktion zum „Stabat Mater“ weist auf seine Abkunft, sie könnte
auch vor einem „dramma per musica“ stehen. Die schmelzenden
Koloraturen in „Fac ut portem Christi mortem“ sind sicherlich auch
theologisch deutbar.
Wie nahe die
Tonsprache der Kirche und der Oper in Italien einst gewesen sind, wurde an
diesem Abend in einem anderen, älteren Werk vielleicht noch deutlicher.
Claudio Monteverdi (1567 – 1643), einer der Überväter unserer
Musikgeschichte, ist einer der ersten Schöpfer der Oper und bis heute
einer der größten. Sein „Pianto della Madonna“ war ursprünglich die
Klage der „Arianna“ in der gleichnamigen Oper. Die Oper ging verloren.
Doch die Klage daraus, die schon auf ihre ersten Hörer gewaltigen
Eindruck machte, überlebte in verschiedenen Metamorphosen. 1640
publizierte Monteverdi seine Sammlung „Selva morale“ und die Klage war
darin in ihrer endgültigen Gestalt als „Pianto della Madonna“.
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