Mittwoch, 25. Oktober 2000

Tolle musikalische Gegenüberstellung umjubelt
Von Jürgen Dehl

Kriftel. Die alten italienischen Gesangsmeister wussten wie ein guter, runder Ton zu Stande kommt. Er muss "sul fiato, nella maschera (auf dem Atem, in der Maske)" sein, sagten sie ihren Schülern. Unter "Maske" ist der Nasen-Rachenraum als Resonanzkörper zu verstehen. Bis der Ton automatisch hier "sitzt" und "schwingt", braucht es viel konzentriertes Üben. Offenkundig geschah das beim Katholischen Kirchenchor Cäcilienverein. Erfrischend präsent und rund klang der Chor bei seinem jüngsten Konzert in der Pfarrkirche St. Vitus. Hier und da gab es winzige Unstimmigkeiten bei Koloraturen oder beim Einsatz, die in Anbetracht der gewählten Literatur äußerst verständlich sind. Mancher Einsatz ist schon richtig gemein. So arg viel hat der Chor in Telemanns Psalm 111 und in in Bachs Magnificat (BWV243) nicht zu singen, aber wenn er gefordert wird, ist er wirklich gefordert. Die beiden Komponisten ersparen ihren Choristinnen und Choristen wirklich kaum etwas.
   "Herhalten" müssen auch die Instrumentalisten im Orchester, es nannte sich "Orchester des Cäcilienvereins" und es waren einige vertraute Gesichter darin zu sehen.
   Vor allem die Bläser haben - etwa die Trompete - heftige Aufgaben zu bewältigen um den Werken Feinschliff in Sachen Glanz zu geben.
   Unter den Solisten ragte Alexandra Gießler (Alt) heraus, die ihre sanften Töne wunderbar ausgleicht. Bruch- und nahtlos wandert ihre Stimme durch die unterschiedlichen Register, die nun einmal der menschlichen Stimme eignen sind. Christine Bechtel (Sopran) fand sehr innige Töne, die auch in virtuosen Koloraturen nicht abhanden kamen. Michael Zahns sonorer Bass scheint ebenfalls kaum Grenzen und Beschneidungen zu kennen.

   Möglicherweise war Jan Schülke (Tenor) etwas indisponiert. Gehaltene Töne gelangen ihm trefflich, während er bei kürzeren Notenwerten die Töne wieder und wieder anzudrücken schien. Im ,,Suscepit Israel" (Bachs Magnificat) komplettierte Alexandra Gießler (Alt) und Christine Bechtel (Sopran) zum Terzett.
   Bekanntlich waren Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann Zeitgenossen, sind vermutlich sogar befreundet gewesen. Zu Lebzeiten erfreute sich Telemann eindeutig der größeren Berühmtheit und Beliebtheit. Warum das so gewesen ist wurde in St. Vitus deutlich. Telemanns Musik ist etwas schlichter als jene Bachs und somit eingängiger. Sie macht zwar auch heute noch etwas daher; doch als das Bachsche Magnificat begann, wurde deutlich warum der Thomaskantor in unserer Zeit den Vorzug genießt. Schon die Introduktion ist voll des überschwänglichsten Jubels. Ein Instrument scheint das andere übertreffen zu wollen. Die Instrumentalisten des Orchesters waren diesen Anforderungen gut gewachsen. Sie strahlten sogar eine gewisse Souveränität aus. Durch den dichten Orchestersatz Bachs schien es, als würden urplötzlich wesentlich mehr Musiker im Altarraum musizieren.
   Andreas Wincklers Dirigat zeichnete sich durch große, mätzchenfreie Genauigkeit aus. Ohne Feldherren-Getue leitete er seine Sängerinnen, Sänger und Musiker durch die nicht einfachen Partituren. Außerdem muss man ihm für die spannende Gegenüberstellung dieser beiden Komponisten dankbar sein.
   Die Hörer in der ausverkauften Pfarrkirche jubelten und durften dafür den Schlusschor von Bachs "Magnificat" noch einmal hören.