Freitag,  14. April 2000

Haydn und die Gänsehaut
(KN) »Papa« Haydn. Gönnerhaft verlieh das 19. Jahrhundert dem ach so naiven, gutmütigen Komponisten diesen »Ehrentitel«, während es gleichzeitig Beethoven zum Titanen machte. »Man kann nichts Neues mehr von ihm erfahren; er ist wie ein gewohnter Hausfreund, der immer gern und achtungsvoll empfangen wird; tieferes Interesse aber hat er für die Jetzt-Zeit nicht mehr.« Kein Geringerer als Robert Schumann schrieb diesen Satz vor 150 Jahren. Wie Unrecht er doch hat! Immerhin nahm Rossini damals Haydn vor dem Vorwurf in Schutz, sein Ernst sei zu fröhlich: »Jawohl - seine Fröhlichkeit war sein Ernst!
   « Höchste Zeit, den Rang des großen Komponisten auch heute immer wieder aufzuzeigen, was »Vitus & Caecilia« am letzten Sonntag eindrucksvoll gelungen ist.
   Mit dem Oratorium »Die sieben letzten Worte unseres. Erlösers am Kreuze« gelang es dem »gewohnten Hausfreund«, bei Ausführenden und den zahlreich erschienen Zuhörer(innen) die sprichwörtliche »Gänsehaut« zu erzeugen. Wenn er auch nicht Sinfonie und Streichquartett »erfunden« hat, was ihm das bürgerliche Zeitalter fälschlicherweise unterstellte, so doch das Denken in Tönen. Dass Haydns Musik jedoch jenseits der Freude am intellektuellen Nachvollzug auch noch ins Herz trifft, macht ihre Größe aus. In Kenntnis der Tatsache, dass Haydn, im Gegensatz zu seinem jungen Freund Mozart, primär instrumental und nicht vokal »dachte«, hatte der allzeit souveräne Dirigent Andreas Winckler mit hörbarer Sorgfalt ein opulent besetztes Orchester zusammengestellt, das sich

 seiner wichtigen Aufgabe brillant entledigte. Erstaunlich, wie homogen das Ganze klang (bei nur einer Tutti-Probe!), zuweilen gekrönt von schönen Bläsersoli und einem Geigensolo des Konzertmeisters. Auf dieser soliden instrumentalen Basis konnten sich Chor und Vokalsolisten optimal entfalten.
   Wenn man, wie der Verfasser dieser Zeilen, binnen einer Woche den beiden Chorformationen in Kriftel, dem »Liederkranz« und dem »Caecilienverein«, bei repräsentativen Auftritten zuhört, wird wieder einmal deutlich, das die klanglichen Möglichkeiten (ganz abgesehen vom Repertoire) bei einem gemischten Chor vielfältiger sind bei vergleichbarer Qualität.
   A-Capella-Gesang ist ein gefürchteter Prüfstein für Intonationsreinheit: Der »Caecilienverein« bestand ihn mit Bravour. Und auch die Ausbrüche wurden gekonnt gemeistert.
   Die Sopranistin Edda Best gab ihr rundum gelungenes Debüt in St. Vitus. Nahtlos fügte sie sich in das stimmschöne Solistenensemble ein, dem außer ihr noch Alexandra Gießler (Alt), Rudolf Schmitz (Tenor) und Robert Hahn (Baß) angehörten. Dass ihnen Haydn kaum dankbare Soli, dafür aber schwierige Ensembles abverlangt, macht die Leistung der Vier umso anerkennenswerter. Joseph Haydn und »Vitus & Caecilia« sei Dank für dieses bemerkenswerte Konzert.                  Dietmar Vollmert