Dienstag, 11. April 2000

Ein grandioses musikalisches Gebet
Von Jürgen Dehl

Kriftel. Ein Werk seltener Exklusivität erklang in der Pfarrkirche St. Vitus: das Oratorium »Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze« von Josef Haydn. Möglicherweise ist das im Kreis sogar eine Erstaufführung gewesen. Die Instrumentalfassungen - erst vor wenigen Tagen wurde in Schwalbach die Orchesterfassung gegeben - sind vertrauter als diese Fassung für Solisten, Chor und Orchester. Bedauerlich ist diese Missachtung, wie Andreas Winckler mit seinem Ensemble deutlich machte.
    Irritierend ist das Werden des Werkes. Es entstand im Auftrag eines priesterlichen Marqué für die südspanische Bischofsstadt Cadiz. Am Karfreitag wurden die »Sieben Worte« vom Geistlichen verlesen, der dann betrachtende Worte anschloss. Hernach begab sich der Priester zum Altar und verharrte in Anbetung des Kreuzes. Für diese Momente war Haydns Musik bestimmt. Vermutlich erklangen sie am Karfreitag 1787 zum ersten Mal. Josef Haydn schrieb sieben Sonaten, denen er eine Introduzione voranstellte und ein Erbeben, »II Terremoto", folgen ließ.
    Der Passauer Domkapellmeister Josef Friebert bearbeitete das Orchesterwerk und unterlegte Texte verschiedener Autoren. Haydn lernte diese Arbeit kennen und fühlte sich zu einer eigenen Vokalfassung inspiriert, die er vermutlich 1795/1796 schuf.
    Die ernste und manchmal entrückte Grundstimmung der Komposition macht sie zu einem grandiosen Gebet. Nimmt man den Gattungsbegriff Oratorium sehr eng, so sind »Die sieben letzten Worte« mehr Oratarium als andere Werke dieses Genres. Denn häufig sind Orato­rien so etwas wie geistliche Opern ohne szenische Aktion.

    Die Oratorienfassung der »Sieben letzten Worte« beginnt mit der knappen, bizarr springenden Introduktion der Instrumentalversion. Dann singt der Chor »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Die tiefen Streicher setzen ein und die erste Sonate folgt. Das Bibelzitat und der sich anschließende betrachtende Text verbinden sich mit den Violinstimmen. Haydn variiert dieses Schema in vielfältiger Weise. Die menschliche Stimme wird dabei chorisch und solistisch - Edda Best (Sopran), Alexandra Gießler (Alt), Rudolf Schmitz (Tenor) und Robert Hahn (Bass) - eingesetzt. Auf diese Weise entsteht ein wundersames und wunderschönes, samtiges Gewebe in Grau- und Schwarztönen. Vielleicht sollte man bei anderen Aufführungen jedoch den Schlußchor weglassen. Das »Erdbeben« scheint instrumental von größerer Wirksamkeit. So war jedenfalls der Eindruck des Schreibers.
    Ein kleines Manko hatte die Aufführung: Sie war Bläser-lastig, die Geigen konnten sich gegen diese geballte Ladung Blech- und Holzbläser nur mit etwas Mühe durchsetzen. Der Caecilienverein zeigte sich dieser sehr dankbaren Aufgabe gut vorbereitet und durchweg gut gewachsen. Vor allem ist solcher Mut zum Risiko sehr lobenswert. Zumal der Zuspruch, trotz des schönen Frühlingswetters, nicht zu wünschen übrig ließ. Eindickes Kompliment aber vor allem an Andreas Winckler, der die rare Aufführung zu verantworten hatte und dessen Leitung schlicht geglückt war.
    Der Caecilienverein ist auch im Hochamt am Ostersonntag 9.30 Uhr zu hören. Unter Andreas Winckler wird die Messe mit Mozarts Missa Brevis B-Dur, KV 275, ausgeschmückt.