Carl Philipp Emanuel Bach
Oratorium "Auferstehung und Himmelfahrt Jesu"
Wtq 240
Libretto von Karl Wilhelm Ramler

Erster Teil

Einleitung

Chor
Gott! Du wirst seine Seele
nicht in der Hölle lassen
und nicht zugeben,
dass dein Heiliger die Verwesung sehe!

Rezitativ
Judäa zittert! Seine Berge beben!
Der Jordan flieht den Strand!
Was zitterst du, Judäens Land?
Ihr Berge, warum bebt ihr so?
Was war dir, Jordan, dass dein Strom zurücke floh?
Der Herr der Erde steigt
empor aus ihrem Schoss, tritt auf den Fels, und zeigt
der staunenden Natur sein Leben.
Des Himmels Myriaden liegen auf der Luft
rings um ihn her; und Cherub Michael fährt nieder,
und rollt des vorgeworfnen Steines Last
hinweg von seines Königs Gruft.
Sein Antlitz flammt, sein Auge glühet.
Die Schar der Römer stürzt erblasst
auf ihre Schilde : Flieht, ihr Brüder!
Der Götter Rache trifft uns: fliehet!

Arie
Mein Geist, voll Furcht und Freuden, bebet!
Der Fels zerspringt! Die Nacht wird lichte!
Seht, wie Er auf den Lüften schwebet!
Seht, wie von seinem Angesichte
die Glorie der Gottheit strahlt!
Rang Jesu nicht mit tausend Schmerzen?
Empfing sein Gott nicht seine Seele?
Floss nicht sein Blut aus seinem Herzen?
Hat nicht der Held in dieser Höhle
der Erde seine Schuld bezahlt?
Hat Er sie nicht bezahlt?

Chor
Triumph! Des Herrn Gesalbter sieget!
Er steigt aus einer Felsengruft!
Triumph! Ein Chor von Engeln flieget
mit lautem Jubel durch die Luft.

Rezitativ
Die frommen Töchter Sions gehn
nicht ohne Staunen durch des offnen Grabes Tür.
Mit Schaudern fahren sie zurück. Sie sehen,
in Glanz gehüllt, den Boten
des Ewigen, der freundlich spricht:
Entsetzt euch nicht!
Ich weiß, ihr suchet euren Toten,
den Nazaräer Jesus hier,
dass ihr ihn salbt, dass ihr ihn klagt.
Hier ist er nicht. Die Stätte sehet ihr,
die Grabetücher sind vorhanden;
Ihn aber suchet bei den Toten nicht!
Es ist erfüllt, was er zuvor gesagt:
Er lebt! Er ist erstanden!

Arie
Wie bang hat Dich mein Lied beweint!
Ach! Unser Trost, der Menschenfreund,
sieht keinen Tröster, steht verlassen.
Der blutet, der sein Volk geheilt,
der Tote weckte, ach! muss erblassen.
So hat mein banges Lied geweint.
Heil mir! Du steigst vom Grab herauf.
Mein Herz zerfließt in Freudenzähren
in Wonne löst mein Gram sich auf!

Rezitativ
Wer ist die Sionitin, die vom Grabe
so schüchtern in den Garten fliehet und weinet?
Nicht lange, Jesus selbst erscheinet,
doch unerkannt, und spricht ihr zu:
0 Tochter, warum weinest du?
Herr, sage, nahmst du meinen Herrn aus diesem Grabe?
Wo liegt Er? Ach vergönne,
dass ich ihn hole; dass ich ihn
mit Tränen netze; dass ich ihn
mit diesen Salben noch im Tode salben könne,
Wie ich im Leben ihn gesalbt - Maria!
So ruft mit holder Stimm' ihr Freund,
in seiner eigenen Gestalt - Maria!
Mein Meister, ach! Sie fällt zu seinen Füßen nieder,
Umarmt sie, küsst sie, weint.
Du sollst mich wieder sehen!
Noch werd' ich nicht zu meinem Vater gehen.
Steh auf, und suche meine Brüder
und meinen Simon! Sag, ich leb und will ihn sehen.

Duett
Vater deiner schwachen Kinder,
der Gefall'ne, der Betrübte,
hört von dir den ersten Trost.
Tröster der gerührten Sünder,
die dich suchte, die dich liebte,
fand bei dir den ersten Trost.
Tröster, Vater, Menschenfreund.
0 wie wird durch jede Zähre
dein erbarmend Herz erweicht!
Sagt, wer unserm Gotte gleicht,
der die Missetat vergebet?
Sagt, wer unserm Gotte gleicht,
der den Missetäter liebet?
Liebe, die du selbst geweint,
o wie wird durch jede Zähre
dein allgütig Herz erweicht!

Rezitativ
Freundinnen Jesu! Sagt, woher so oft
in diesen Garten? Habt ihr nicht gehört, er lebe?
Ihr zärtlichen Betrübten hofft,
den Göttlichen zu sehen, den Magdalena sah?
Ihr seid erhört. Urplötzlich ist er da,
und Aloen und Myrrhen duftet sein Gewand.
Ich bin es! Seid gegrüßt!
Sie fallen zitternd nieder,
sein Arm erhebt sie wieder:
Geht hin in unser Vaterland,
und sagt den Jüngern an: ich lebe,
und ich fahre hinauf in meines Vaters Reich;
doch will ich alle sehn, bevor ich mich für euch
zu meinem Gott und eurem Gott' gen Himmel hebe.

Arie
Ich folge Dir, verklärter Held,
dir, Erstling der entschlafnen Frommen!
Triumph! Der Tod ist weggenommen,
der auf der Welt der Geister lag.
Dies Fleisch, das in den Staub zerfällt,
Wächst fröhlich aus dem Staube wieder.
0 ruht in Hoffnung meine Glieder,
bis an der großen Ernte Tag!

Chor
Tod! Wo ist dein Stachel?
Dein Sieg, o Hölle! Wo ist er?
Unser ist der Sieg! Dank sei Gott,
und Jesus ist Sieger!

Zweiter Teil

Einleitung

Rezitativ
Dort seh'ich aus den Toren
Jerusalems zwei Schüler Jesu gehn.
In Zweifeln ganz, und ganz in Traurigkeit verloren,
gehn sie durch Wald und Feld,
und klagen ihren Herrn. Der Herr gesellt
sich zu den Trauernden, umnebelt ihr Gesicht,
hört ihre Zweifel an, gibt ihnen Unterricht:
Der Held aus Juda, dem die Völker dienen sollen,
muss erst den Spott der Heiden
und seines Volks Verachtung leiden.
Der mächtige Prophet von Worten und von Taten
muss durch den Freund, der mit ihm aß, verraten,
verworfen durch den andern Freund,
verlassen in der Not von allen,
den bösen Rotten in die Hände fallen.
Es treten Frevler auf und zeugen wider ihn:
So spricht der Mund der Väter:
Der König Israels verbirgt sein Angesicht
vor Schmach und Speichel nicht.
Er hält die Wangen ihren Streichen,
den Rücken ihren Schlägen dar.
Zur Schlachtbank hingeführt tut er den Mund nicht auf.
Gerechnet unter Missetäter,
fleht er für sie zu Gott hinauf.
Durchgraben hat man ihn, an Hand und Fuß durchgraben.
Mit Essig tränkt man ihn
in seinem großen Durst, und mischet Galle drein.
Sie schütteln ihren Kopf um ihn.
Er wird auf kurze Zeit von Gott verlassen sein.
Die Völker werden seh'n. wen sie durchstochen haben;
man teilet sein Gewand, wirft um sein Kleid das Los.
Er wird begraben wie die Reichen:
Und unverwest am Fleisch zieht Gott ihn aus dem Schoß
der Erd' hervor, und stellt ihn auf den Fels. Er gehet
in seiner Herrlichkeit zu seinem Vater ein.
Sein Reich wird ewig sein.
Sein Name bleibt, so lange Mond und Sonne stehet.
Die Rede heilt der Freunde Schmerz,
mit Liebe wird ihr Herz
zu diesem Gast entzündet.
Sie lagern sich, er bricht das Brot, und sagt Dank.
Die Jünger kennen seinen Dank,
der Nebel fällt, sie sehn ihn, — Er verschwindet.

Arie
Willkommen, Heiland! Freut euch, Väter!
Die Hoffnung Zions ist erfüllt.
0 dankt, ihr ungebornen Kinder!
Gott nimmt für eine Welt voll Sünder
sein großes Opfer an.
Der Heilige stirbt für Verräter:
So wird des Richters Spruch erfüllt.
Er tritt das Haupt der Hölle nieder,
er bringet die Rebellen wieder:
Der Himmel nimmt uns an.

Chor
Triumph! Der Fürst des Lebens sieget!
Gefesselt führt er Höll' und Tod!
Triumph! Die Siegesfahne flieget,
sein Kleid ist noch vom Blute rot.

Rezitativ
Elf auserwählte Jünger, bei verschlossnen Türen,
die Wut der Feinde scheuend, freuen sich,
dass Jesus wieder lebt. Ihr glaubt es, aber mich,
erwidert Thomas, mich soll kein falsch Gesicht verführen.
Ist er den Galiläerinnen nicht,
auch diesem Simon nicht erschienen?
Sahn ihn nicht Kleophas und sein Gefährte dort
bei Emmaus? Ja hier, mein Freund, hier an diesem Ort
sahn wir ihn alle selbst: Es waren seine Mienen,
die Worte waren seinen Worten gleich.
Er aß mit uns. Betrogen hat man euch!
Ihr selbst, aus Sehnsucht, habt euch gern betrogen.
Lasst mich ihn sehn, mit allen Nägelmalen sehn,
dann glaub auch ich, es sei mein heißer Wunsch geschehen.
Und nun zerfließt die Wolke, die den Herrn umzogen,
der mitten unter ihnen steht, und spricht:
Der Friede Gottes sei mit euch!
Und du. Schwachgläubiger, komm, siehe, zweifle nicht!
Mein Herr! Mein Gott! Ich seh', ich gIaub', ich schweige.
So geh´ in alle Welt, und sei mein Zeuge!

Arie
Mein Herr, mein Gott, mein Herr, mein Gott!
Dein ist das Reich! Die Macht ist dein!
So wahr dein Fuß dies Land betreten,
wirst du der Erde Schutzgott sein.
Jehovens Sohn wird uns vertreten,
Versöhnte, kommt ihn anzubeten!
Erlöste, sagt ihm Dank!
Zu dir steigt mein Gesang empor,
aus jedem Tal, aus jedem Hain.
Dir will ich auf dem Feld Altäre
und auf den Hügeln Tempel weihn.
Lallt meine Zunge nicht mehr Dank,
so sei der Ehrfurcht fromme Zähre
mein letzter Lobgesang.

Chor
Triumph! Der Sohn des Höchsten sieget!
Er eilt vom Sühnaltar empor.
Triumph! Sein Vater ist vergnüget!
Er nimmt uns in der Engel Chor.

Rezitativ
Auf einem Hügel, dessen Rücken
der Ölbaum und der Palmbaum schmücken
steht der Gesalbte Gottes. Um Ihn stehen
die seligen Gefährten seiner Pilgrimschaft.
Sie sehn erstaunt von seinem Antlitz Strahlen gehn.
Sie sehn in einer lichten Wolke
den Flammenwagen warten, der ihn führen soll.
Sie beten an. Er hebt die Hände
zum letzten Segen auf: Seid meines Geistes voll!
Geht hin, und lehrt,
bis an der Erden Ende,
was ihr von mir gehört,
Das ewige Gebot der Liebe! Gehet hin,
Tut meine Wunder! Gehet hin,
verkündigt allem Volke
Versöhnung, Friede, Seligkeit!
Er sagt's, steigt auf, wird schnell empor getragen.
Ein strahlendes Gefolge umringet seinen Wagen.

Arie
Ihr Tore Gottes, öffnet euch!
Der König ziehet in sein Reich,
macht Bahn, ihr Seraphinenchöre!
Er steigt auf seines Vaters Thron.
Triumph! Werft eure Kronen nieder!
So schallt der weite Himmel wieder!
Triumph! Gebt unserm Gott die Ehre!
Heil unserm Gott und seinem Sohn!

Chor
Gott fahret auf mit Jauchzen,
und der Herr mit heller Posaune.
Lobsinget, lobsinget Gott!
Lobsinget, lobsinget unserm Könige!
Der Herr ist König.
Des freue sich das Erdreich!
Das Meer brause! Die Wasserströme frohlocken
und alle Inseln sein fröhlich.
Jauchzet, ihr Himmel! Freue dich Erde!
Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen!
Wer ist, der in den Wolken gleich dem Herren gilt,
und gleich ist unter den Kindern der Götter dem Herrn?
Lobet ihn, alle seine Engel!
Alles, was Odem hat, lobe den Herrn! Halleluja!